- muslimische Bildungszentren
- muslimische Bildungszentren»Wissen« und »Wissenschaft« bedeuteten im islamischen Kulturraum von Anbeginn an - und in traditionalistischen Kreisen bis heute - die Kenntnis der Grundlagen der islamischen Religion und der daraus abgeleiteten Regeln für das Zusammenleben der islamischen Gesellschaft im weitesten Umfang; darin sind die dazugehörigen sprachlichen, biographischen, historischen und sonstigen »Hilfswissenschaften« eingeschlossen. Zur Einführung der Kinder in dieses gesellschaftliche Grundwissen gab es schon seit der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts eine Art »Vorschule«; diese Einrichtung hat sich in vielen islamischen Gemeinden bis heute erhalten, auch wenn die einzelnen Länder inzwischen Schulen nach abgestuftem System in international üblichen Formen eingeführt haben. Profanes Wissen trat seit dem 8. Jahrhundert von außen durch Einflüsse aus Persien, Indien, der griechischen Spätantike hinzu; es wurde freilich von der Orthodoxie stets als verdächtig und dem uneingeschränkten Glauben zuwider verurteilt.Bis in die islamische Zeit hinein blieben eine Reihe alter Schulen in Tätigkeit, vor allem Gondeschapur, Alexandria, Antiochia, Harran. Hier wurden, größtenteils von christlichen Gelehrten, Ausläufer antiker sowie in Iran auch indischer Wissenschaft gepflegt und gelehrt. Die Schule von Alexandria blieb bis etwa 720 aktiv, hier wirkten noch unter dem Islam die griechischen Ärzte Paulus von Ägina und Ahrun, von denen später Werke ins Arabische übersetzt wurden; der Araber Abd al-Malik ibn Abdjar al-Kinani soll hier Medizin studiert haben, bevor er Leibarzt des Kalifen Omar II. wurde. Weiter im Osten, in Südwestpersien, bestand die berühmte Akademie von Gondeschapur. Sie soll bereits um 260 von dem zweiten Sassanidenherrscher Schapur I. gegründet worden sein, der hier nach einem Sieg über die Römer gefangenen Griechen eine Heimstatt mit der Möglichkeit gelehrter Tätigkeit schaffen wollte. Im 6. Jahrhundert unter Chosrau I. Anuschirwan nahm die Schule von Gondeschapur, die besonders berühmt auf dem Gebiet der Medizin war, einen neuen Aufschwung. So soll hier sogar ein Arzt aus dem Gefolge des Propheten, al-Harith ibn Kalada, studiert haben. Zu den berühmten Namen dieser Schule gehört die Arztfamilie Bachtischu, von der zwischen 765 und 870 nacheinander mehrere Mitglieder zu Leibärzten der Kalifen in Bagdad aufstiegen. Im 9. Jahrhundert hat Gondeschapur, im Schatten des Aufblühens arabischer Institutionen, seine Bedeutung jedoch verloren.Traditioneller Lehrort für das islamische Wissen war von frühester Zeit an und in vielen Fällen bis auf den heutigen Tag die Moschee. Hier »hörten« die Studenten ihre Lehrer, absolvierten ihre Studien und erwarben ihrerseits die Lizenz zur Weitergabe dieses Wissens. Oft waren den Moscheen auch Wohnmöglichkeiten angegliedert, sodass die Studenten ihren gesamten Alltag in der Moschee verbringen konnten. Später wurden den Moscheen häufig eigene Baulichkeiten für den Unterricht beigegeben; Mäzene - Herrscher, Wesire, aber vielfach auch Privatleute - stifteten solche »Schulen«, die im Arabischen »Madrasa« oder »Medrese« heißen und mit Bibliotheken und fest angestelltem Personal ausgestattet wurden. In nahezu allen Städten der islamischen Welt sind noch heute solche Medresen aus den verschiedenen Perioden der islamischen Geschichte zu sehen. Eine Reihe von Medresen wurde zum Beispiel von dem Wesir der Seldschukensultane, Nisam al-Mulk, in Irak und Iran errichtet, die alle nach ihm »Nisamija« hießen; auch in Bagdad wurde 1067 eine solche Nisamija eingeweiht, die große Berühmtheit erlangte; an ihr lehrte auch einige Jahre der bekannte Theologe und Philosoph al-Ghasali, der dort über dreihundert Hörer um sich versammeln konnte. Oft fallen Moschee und Medrese zusammen. In Nordafrika ist die berühmteste Moscheeschule die Karawijin-Moschee in Fes (Marokko). Sie wurde 859 gegründet und erreichte ihren Höhepunkt im 14. Jahrhundert. Auch heute noch beeindrucken den Besucher ihre Gebäude und den Forscher die zum Teil noch erhaltenen alten Handschriften der Bibliothek. Eine Moscheeschule, die volle tausend Jahre überdauert hat und die heute die bekannteste überhaupt sein dürfte, ist die Azhar in Kairo. Sie wurde von den schiitischen Fatimidenkalifen nach der Eroberung Ägyptens im 10. Jahrhundert gegründet und diente bis zum Ende der Dynastie im späten 12. Jahrhundert der Verbreitung der schiitischen Lehre. Unter der nachfolgenden Dynastie der Aijubiden, die Sunniten waren, musste die Azhar sich der neuen Richtung anpassen. Die darauf folgenden ebenfalls sunnitischen Mameluken wandten der Azhar größere Aufmerksamkeit zu, sodass sie wieder einen größeren Aufschwung nahm.Neben diesen Lehrstätten spezifisch islamischer Ausrichtung kannte das islamische Mittelalter aber auch einige Einrichtungen, die der Beschäftigung mit den profanen, »fremden« Wissenschaften gewidmet waren. Diese Wissenschaften mussten durch Übersetzung persischer, syrischer, griechischer und gelegentlich indischer Werke erst angeeignet werden. Über das frühe Stadium dieser Aneignung wissen wir wenig. Es waren wohl hier und da Übersetzer im Auftrag einzelner Mäzene tätig. Der Kalif Harun ar-Raschid, der von 786 bis 809 regierte, errichtete in Bagdad eine »Bibliothek der Weisheit«, in der griechische und andere Schriften gesammelt und ins Arabische übersetzt wurden. In Fortführung dieser Institution errichtete sein Sohn, der Kalif al-Mamun das berühmt gewordene »Bait al-hikma«, »Haus der Weisheit«, das demselben Zweck gewidmet war und mit einer umfangreichen Bibliothek, fest angestelltem Personal und einem festen Etat ausgestattet war. Auch hier wurden vor allem griechische Texte gesammelt und ins Arabische übertragen. Einschlägige Gelehrte hielten hier auch Unterricht in ihren Fächern ab, Mathematik, Astronomie und Astrologie, Pharmakologie und Medizin. Im Jahr 847, unter dem Kalifen al-Mutawakkil, musste das »Bait al-hikma« seine Aktivitäten einstellen, da dieser Kalif sich von der Mutasilia, der von al-Mamun zur Staatsreligion erhobenen rationalistischen Schule des Islam, abwandte, wieder zur traditionalistischen Richtung zurückkehrte und die profanen »fremden« Wissenschaften streng ablehnte. In Kairo errichtete der Fatimidenkalif al-Hakim 1005 ein »Haus der Weisheit«, wo alle Wissenschaften gepflegt wurden und dem eine große Bibliothek angeschlossen war. In diesem Haus lebte einige Jahre der bedeutende Naturwissenschaftler Ibn al-Haitham (Alhazen). Die Aijubiden schlossen das Haus bei ihrem Regierungsantritt 1171.Überblickt man die Geschichte der Lehrstätten in der islamischen Welt, so fällt auf, wie kurzlebig sie oft waren, wie stark sie stets von Mäzenen abhingen, wie schnell mit dem Tod eines Mäzens und dem Versiegen der Finanzierun, dem Wechsel des Herrschers und einem damit verbundenen ideologischen Umschwung ihr Ende kam. Einige, besonders die Pflegestätten der »fremden« Wissenschaften, hatten da bereits einen großen Teil ihres Zweckes erfüllt. Andere, wie die Azhar oder die Karawijin, schwammen im Strom des breiten islamischen Konsenses und konnten so die Zeiten überdauern.Prof. Dr. Paul KunitzschHourani, Albert: Die Geschichte der arabischen Völker. Aus dem Englischen. Sonderausgabe Frankfurt am Main 21996.
Universal-Lexikon. 2012.